Hamburg – Stadt – hamburgillustrator – hamburgillustriert
- Von cobolt hochgeladen im Album Hamburger Corona-Impressionen am 02.05.2020
Barmbek-Uhlenhorst, Mundsburg
Wir ziehen los (zu Fuss, logo) und machen eine Pause als wir die Kreuzung Hamburger Sraße / Landwehr erreichen. Das ist eine Hauptverkehrs-Ader in HH, 4-spurig. Hier ist also eigentlich IMMER was los, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Aber heute kannste auf der Straße picknicken.
Die Szenerie ist das Unwirklichste, was ich je erlebt habe. Mehr als damals Tschernobyl. Das war zwar auch brenzlig, aber unsichtbar und weit, weit weg. Der Tornado, der 1992 die Nordheide schredderte, lieferte apokalyptische Bilder und Zerstörung. Aber hier und heute nicht.
Heute ist es fast idyllisch. Ab und an schnurrt eine U-Bahn über die Brücke. Das ist das lauteste Geräusch, was man hier an diesem Tag hören kann. Einsame Busse säuseln ab und an durchs Blickfeld. Hier und da huschen einzelne Radfahrer oder andere Fussgänger vorbei. Ansonsten gehört die Strasse den Tieren.
Wir verhalten uns ruhig und warten und es dauert auch nicht lange. Als erstes kommen die Cleversten und Mutigsten: Rabenvögel. Hinter uns lässt sich eine Truppe auf der Strasse nieder. Mein Tele ist zu schwach und ich müsste gegen die Sonne photografieren, also lass ich es. Sie spielen mit irgendwas, schubsen es quer über die Strasse und scheinen ihren Spass zu haben. Aus einer der Grünanlagen kommt ein Stadt-Kaninchen, bleibt auf der Strasse sitzen (!) und sieht sich um. Die Rabenvögel machen mehr Rabatz, als die U-Bahn. Das Kaninchen hopelt weiter und verschwindet in den Grünanlagen. Strange, aber auch irgendwie schön und merkwürdig friedlich.
Freundin fragt, ob ich auch das Gefühl hätte, dass die Luft heute besser ist, als sonst. Bin mir nicht sicher, ob wir nicht auf Adrenalin sind und das Gefühl täuscht. Aber ne Woche später lesen wir die aktuellen Schadstoffdaten und tatsächlich sind die Werte enorm gesunken. (Igel haben wir übrigens nicht gesehen, aber illustratorisch passt es gut dazu.)
Man merkt, dass wir evolutionär nur zu Besuch und den Naturgesetzen ziemlich egal sind. Die Ignoranz führt letzlich zum Crash und zur ungewollten Entschleunigung. Und über allem scheint die Sonne, als wäre nichts geschehen :)
Titel | An einem Samstag in Hamburg 2020 - Kpt. 2 |
Material, Technik | Zusätzliche Elemente: Gouache auf 250g-Papier, Photo-Collage |
Jahr, Ort | 2020 Hamburg-City |
Tags | |
Kategorien | |
Info | 410 6 8 4.4 von 6 - 7 Stimmen |
@Vaga Etwas hierzu:
"Ob die gegenwärtige Erfahrung uns zukünftig prägend beeinflussen wird, was unsere Empfind-, Acht- und Aufmerksamkeit anbetrifft, bleibt abzuwarten."
Da hab ich meine Zweifel. Das Problem ist, dass Millionen Existenzen vom "Weiter so" abhängen. Die Drängelei nach der alten Normalität hat ja gerade schon heftigst angefangen und ich kann diese Reaktion auch menschlich nachvollziehen. (Geht mir ja letzlich auch nicht anders. Meine gesamten Netzwerke sind z.Zt. zusammengebrochen. Arbeitstechnisch / Existenziell ist das fatal.) Aber genau das ist das Problem, denn man löst Probleme nicht, indem man sie verdrängt. Und da die Zeit tickt und Naturgesetze keine "Verhandlungspartner" sind, darf man gespannt sein, wohin sich das entwickelt. Die Machtkämpfe um die Richtung dürften (global) heftig werden.
Spannend finde ich u.a. auch die seitlich in den Bildrand ragenden Efeublätter (der Igel trägt sogar bereits eins mit sich fort). Efeu, als robuste, schnellwachsende Kletterpflanze (und für mich Teilmetapher für die von dir im Text erwähnten Naturgesetze) verdeutlich hier sehr anschaulich, wie frei und relativ ungestört sich (Fauna und) Flora fortpflanzen' kann, in einer Zeit, in der der Mensch zum Stillstand gezwungen bzw. weitgehend von der 'Bildfläche' verschwunden ist.
Ob die gegenwärtige Erfahrung uns zukünftig prägend beeinflussen wird, was unsere Empfind-, Acht- und Aufmerksamkeit anbetrifft, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre es allemal.